Dienstag, 15. März 2016

Ghost Stories

15. März

Lars hat sich gestern verabschiedet, und weg war er. Plötzlich stehe ich alleine in Bangkok. Klar, einen Plan habe ich, trotzdem ein komisches Gefühl plötzlich nicht in die selbe Richtung zu fahren. An Siam haben wir uns getrennt. Ich fahre nach On Nut zu Tom, auf den ich glatt 1,5 Stunden warten muss. Bangkok Farmer’s Market verpasst – fraglich, ob ich dort überhaupt etwas gekauft hätte und deshalb nur halb so schlimm.
Vor zwei Tagen
Hebräisch läuft. LANGSAM! Das nervt ganz schön. Pro Seite brauche ich eine Stunde und danach bin ich absolut erledigt. Dann habe ich auch erst das Prinzip verstanden. Erklären, erinnern geschweige denn selbst sprechen kann ich dann noch lange nicht. Die Audiodateien helfen auch nur bedingt. Beim Lernen frühstücke ich an meinem Lieblingsplatz. Bevor Tom auscheckt fange ich ihn ab. Wir steigen in den Bus Nummer 1, zahlen beide 8 Bat und ab geht die abenteuerliche Fahrt durch Bangkok’s Verkehrschaos. Merke: Beschleunigen geht immer, auch wenn man 10 Meter später wieder hart abbremsen muss. #HVVracingteam ist nichts dagegen, hier werden echte Rennen gefahren. Wer nicht mit seinem Nachbarn kuschen will, sollte sich einen Einzelplatz erkämpfen. Nur die Mutigen bleiben auch dann stehen, wenn ein Platz frei wird. Durch China Town, kleine grüne Nebenstraßen und über den Fluss gelangt man zum Grand Palace. Hecktische, japanische Reisegruppen kann man kostenlos bestaunen, zum Palace kommt man nur an den aufmerksamen Guards vorbei. Den besonderen Grand Palace muss man sich dann doch einiges kosten lassen. Schatten gibt es nirgends, dafür aber umso mehr Gruppenfotos, die für weitere Unterhaltung sorgen. Durch die Stadt zu fahren, als Teil des Chaos aber doch nur als Beobachter im Bus gefällt mir Bangkok besonders gut. Die Menschen im Bus sind freundlich, besorgt das uns etwas passiert und sie lächeln sogar. Endlich mal ein richtig guter Tag in Bangkok.
Tom will sich auf den Weg zu seiner Wohnung machen, daraus wird spontan nichts. Am Ghost Tower gibt es die Wachablösung. Der Mann in Uniform hat mehr Geschäftssinn. Tom kann ihn überzeugen ihn und seine 14 ‚Freunde‘ aufs Gelände zu lassen. Mit 13 Unbekannten werden wir ins innere des Gebäudes geschickt. „Schnell, schnell“ muss es gehen. Man soll uns nicht sehen und auch das Wochenende hat seinen Preis. Statt 200 Bat zahlt jeder 500 – hätten wir auch am Grand Palace ausgeben können, so fühlt es sich allerdings viel besser investiert an. Die erste Hürde auf dem Weg nach Oben ist der Aufzugschacht. Mit Plane und einem großen Holzbrett ist er verriegelt. Wind bläst Betonstaub nach, unten der in die Augen rieselt. Eine improvisierte Leiter ist an die Wand gelehnt, Bauschutt liegt auf dem Boden. Der Mann ist vorbereitet, eine große Taschenlampe hat er und die Handynummer wird auch noch weiter gegeben. Er wartet schließlich nicht im Schacht auf uns und raus wollen wir natürlich auch. Letzte Anweisungen: Um 9 wird die Polizei kommen, auf die Vorderseite zu gehen ist auch verboten. Adrenalin habe ich schon im Blut seit wir auf dem Gelände sind, aber es wird noch schlimmer. Die Leiter zu erklimmen geht noch, langsame ruhige Schritte. Hochdrücken auch langsam, sonst wackelt jede Dachlatte auf der man steht. Die Leiter endet mehr als einen Meter unter dem Eingang zum 1. Stock – der erste muss es alleine hoch schaffen, die nächsten bekommen Hilfestellung. An den Abstiegt will ich jetzt noch gar nicht denken. Überall sind Eisenreste, die aus den Wänden oder dem Boden ragen. „watch out“, warnen wir uns gegenseitig. Ab jetzt beginnt der Aufstieg. Die Berichte, die ich gelesen habe sprachen von fehlenden Stockwerken, schlimmsten Bedingungen um auf und wieder abzusteigen, Dehydrierung und Pausen nach jedem 5 Stockwerk. Meine Erwartungen sind groß, die Angst, dass mir etwas passiert auch. Verbotene, gefährliche Dinge sind normalerweise nicht so mein Ding. Die ersten Schritte im Treppenhaus sind easy. Ein Stromkabel mit Leuchtröhren hängt im Schacht und eine halbe Minute später geht das Licht an. Der Guard hat ganz offensichtlich ein großes Interesse daran, dass wir sicher wieder runter kommen. Wir steigen Stockwerk für Stockwerk auf, schnell, weil die Sonne bald unter gehen wird. Für die, die sich gruseln wollen, sind die Stockwerkzahlen an die Wände gesprüht. Auch andere Graffitis sind dort. Street Art existiert in Bangkok scheinbar nicht, zumindest nicht dort im Haus wo ich mich aufhalte. Einfache Fratzen und fast infantile Graffitis sind an die Wände gesprüht. Ob sich jemand einen Spaß erlaubt oder ob es sich um blutige Nachrichten der Mafia handelt, ich will es eigentlich gar nicht wissen. Auch auf die Stockwerkanzeige achte ich nicht, sollen doch der Schwede und die anderen dort oben gehangen haben, ohne dass ich genau weiß wo das gewesen ist. Wir kommen alle ins Schwitzen aber nach 15 Minuten werden wir mit einem überwältigendem Blick belohnt. Bangkok, eine Perle bist du nicht! Gelebt wird bis zum Horizont, egal wohin man schaut. Hochhäuser, Wohnhäuschen, Tempel, der Fluss und der große Bruder unseres Towers – Bangkok liegt uns zu Füßen. Ich mache die ersten Bilder, bin völlig geflasht. Das Adrenalin macht mich ganz wacklig auf den Beinen. Tom will weiter hoch. Ein Rondell in der Mitte und eine daran angeschlossene ‚Plattform‘ müssen noch bezwungen werden. „Angst ist dazu da um bezwungen zu werden“ – ich versuche ihm zu folgen brauche aber Hilfe obwohl die Kletterer vor uns viele Hilfen gebaut haben um es so einfach wie möglich zu machen. Den Sonnenuntergang verpasse ich darüber, das Bild der glutroten Sonne über der Stadt hat sich auch ohne Foto in meine Erinnerung gebrannt. Wir machen Fotos, wie die anderen auch. Selfiesticks und digitale Spiegelreflex gehören zur Grundausrüstung. Ich genieße lieber den Blick über die Stadt. Ganz schön schwer, wenn der Körper im Actionmodus ist. 
 
Eine Stunde später der Abstieg. Es wird finster und windig, kleine Lichtpunkte unter uns. Die Autos gleichen nicht einmal Spielzeugautos. Runter geht es leichter als hoch – dafür ist es jetzt stockduster. Taschenlampen sind wirklich empfehlenswert! Unebene Stufen, Bauschutt und Eisenteile beeinträchtigen das Laufen an einigen Stellen, aufmerksam muss man einfach sein. Dann der Abstieg in den Schacht und einer muss als letztes runter! Der Wachmann ruft „Ledi, ledi“. Die Jungs müssen also warten bis wir sicher unten angekommen sind. Panik macht sich bei mir breit, trotzdem ich gehe als zweite runter. Auf dem Bauch liegend langsam rückwärts zu rutschen, von den Jungs an den Armen gehalten, ist die sicherste Variante um die Leiter zu erreichen. Das Adrenalin schnellt wieder hoch,  mein Herz klopft wie verrückt. Die Frau vom Wachtmann schaut fern und nickt uns noch zu, als wir schnell das Gelände verlassen. Shake hands mit dem Wachmann und das Abenteuer ist vorbei.
Der Aufstieg ist zwar nicht ohne, aber auch nicht halb so schlimm wie von einigen Bloggern beschrieben.
Angefixt vom Nervenkitzel geht es am nächsten Tag noch einmal hoch. Rory aus England, Toms Cousin und seine Freundin nehmen wir mit. Wir kommen easy rein, nehmen noch zwei weitere Jungs und zwei Mädels mit. Die zwei trauen sich an der Leiter nicht weiter, deshalb geht’s nur zu siebt noch einmal hoch. Adrenalin ist nicht ansatzweise zu spüren. Es macht Spaß, nur der Gruselfaktor bleibt. Oben keine großen Kletteraktionen, alle genießen den Ausblick. Tom packt eine Decke aus. Rory haben wir schon im ersten Stock verarztet. Beim klettern in den ersten Stock hat er ein Einsenstück geschrammt und sich eine klaffende Wunde zugezogen. Man merkt ihm an, wie sehr er sich zusammen reißen muss. Um 8 sind wir wieder unten, auch die Leiter ist halb so schlimm. Der Moment, in dem mir klar wird, wie viel der Wachmann und die Jungs gesehen haben, als ich in meinem Kleid Leiter und Betonreste erklettert habe, ist ein bisschen absurd und sorgt für Gelächter. Der Wachmann hält Tom zurück als wir gehen. Er hat ihn erkannt und gibt ihm 300 Bat zurück. Wir haben ihm Kunden gebracht.
Der Abend endet nachts um 2 im Bumrungrad International Hospital. Rorys Wunde ist genäht und ich werde nach einer Mini-OP am Fuß mit dem Rollstuhl zur Rezeption gefahren. Da die Kreditkarte noch immer streikt dauert es bis wir gehen können. Rory fährt zurück zur Kao San, wir fahren in die Wohnung in On Nut.


Da ich nicht gut laufen, geschweige denn tanzen kann bleibe ich in Bangkok. Chiang Mai muss warten, der Backkurs auch. Dafür ist Toms Wohnung gemütlich. Ich schlafe morgens lange, bin für Mittwoch mit Mon verabredet. Nach unserer Backaktion im Hostel am Freitag wollen wir nun ihre neuen Kochbücher ausprobieren. Mit Tom fahre ich am Freitag Abend aus der Stadt ins Klettercamp. Wenn alles nach Plan läuft und mein Zeh gut heilt, reise ich von dort aus weiter nach Laos. Ein komisches Gefühl. Ich freue mich auf die Reise doch Bangkok hat plötzlich einen Reiz. Die Reise soll heilend sein und Tom tut mir gut.

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